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Jeor Mormont - oder: Wie eine durchdachte Führungskräfte-Auswahl aussieht

Von Mark Hübner-Weinhold & Manfred Klapproth

Leider werden in Organisationen viel zu oft exzellente Fachkräfte zu Führungskräften befördert, weil es meist die einzige Möglichkeit ist, in die nächste Gehaltstufe zu kommen. Ob diese Personen wirklich führen wollen, hinterfragen sie häufig nicht einmal selbst. Ob sie überhaupt führen können, wird nur selten gründlich geprüft. Um den Mitarbeitern im Unternehmen Aufstiegschancen zu signalisieren, vor allem aber aus Bequemlichkeit und Kostengründen neigen viele Personalentscheider dazu, vakante Führungspositionen mit Kandidaten aus den eigenen Reihen zu besetzen. Warum? Weil sie als Fachleute gute Arbeit geleistet haben. Doch ist fachliche Expertise wirklich ein Beleg dafür, dass jemand auch führen kann? Nein. „Kurzfristig mag ausgeprägte Fachkompetenz zwar Autorität verschaffen; langfristig ist ohne Glaubwürdigkeit und persönliche Reife nichts zu machen. Man sucht den besten Fachmann und ignoriert hartnäckig die Persönlichkeitsdefizite, die früher oder später die ganze Veranstaltung platzen lassen“, urteilt der Management-Vordenker Reinhard K. Sprenger.[1] Die Hamburger Unternehmensberater Markus Baumanns und Torsten Schumacher bestätigen das: „Die Personalauswahlpraxis ist jedoch immer noch nahezu ausschließlich auf die fachlichen Fertigkeiten eines Bewerbers ausgerichtet.“[2]

 

Das ist auch und vor allem deshalb so, weil in der Ausbildung unseres Nachwuchses viel zu wenig Wert auf die Vermittlung von Führungskompetenzen gelegt wird. Schaut man sich etwa die Hochschul-Curricula von angehenden Ökonomen, Juristen und Ingenieuren an, so finden die sogenannten Soft Skills, also soziale und mentale Kompetenzen, kaum statt. Dabei punkten Kandidaten in Bewerbungsverfahren oft gerade damit. Typische Soft Skills sind zum Beispiel Teamfähigkeit, Kritikfähigkeit, Lernbereitschaft, Kommunikationsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Eigeninitiative und Empathie. Diese Kompetenzen machen in puncto Führungsarbeit den Unterschied aus. Ein großer Teil davon wird durch das Elternhaus und das soziale Umfeld junger Menschen geprägt. Doch kann das bedeuten, diese Themen der Persönlichkeitsentwicklung in der beruflichen und akademischen Ausbildung weitgehend auszublenden? Unserer Überzeugung nach nicht. Tatsache ist: Die mangelnde Vermittlung und Beherrschung von Soft Skills verursacht die meisten Probleme, die wir in den Führungshierarchien von Organisationen heutzutage haben.

 

In Game of Thrones sehen wir ein gutes Beispiel für durchdachte und systematische Führungskräfte-Auslese: Obwohl Jon Schnee wegen seiner hervorragenden Fähigkeiten als Schwertkämpfer und Reiter einen erstklassigen Grenzer abgeben würde, teilt Lord Kommandant Jeor Mormont ihn zu den Kämmerern ein. Jon ist enttäuscht und wütend, weil er immer nur Grenzer werden wollte, doch Samwell macht ihm klar, was diese Berufung wirklich bedeutet: „Der alte Mann ist der Lord Kommandant der Nachtwache. Du wirst bei ihm sein, Tag und Nacht. Ja, sicher musst Du seine Sachen waschen. Aber Du wirst auch seinen Schriftverkehr handhaben, ihn zu Besprechungen begleiten, ihm in der Schlacht als Knappe dienen. Du wirst an allem teilnehmen, über alles Bescheid wissen. Und er hat selbst nach dir verlangt. Er will dich zum Kommandanten aufbauen.“ (1.07). Jeor erkennt früh das Führungspotenzial, das in Jon schlummert, und bewahrt ihn vor der Fachkarriere als Grenzer.

 

Durch die Betonung der Fachkompetenzen wird auch das Peter-Prinzip fest in den Leitungspositionen einer Organisation zementiert. Sie haben bestimmt schon von diesem Prinzip gehört. Die berühmte These des Erziehungswissenschaftlers Laurence J. Peter aus dem Jahr 1969 besagt: „In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen“.[3] Unprofessionelle Personalauswahl lähmt somit ein Unternehmen, indem es zu wenig Wert auf eine wirkungsvolle Prüfung von Führungskompetenzen der Kandidaten legt. Mit Janos Slynt, dem verräterischen Kommandanten der Stadtwache von Königsmund, der von Tyrion zur Mauer geschickt wird, und dort in der Schlacht gegen die Wildlinge so kläglich versagt, haben wir buchstäblich eine Verkörperung des Peter-Prinzips. Und denken Sie mal an Ihre eigene Organisation: Gibt es dort nicht auch einen Janos Slynt? Ihnen werden sicherlich Beispiele für Vorgesetzte einfallen, die nicht führen können und sich irgendwo verstecken, wenn es gilt, an der Front zu sein.

 

 

 



[1] Reinhard K. Sprenger: Radikal führen. Campus Verlag, Frankfurt/M. 2012, S. 242f.

[2] Markus Baumanns, Thorsten Schumacher: Kein Bullshit! Was Manager heute wirklich können müssen. Murmann Publishers, Hamburg 2014, S. 122

[3] Laurence J. Peter, Raymond Hull: Das Peter-Prinzip oder die Hierarchie der Unfähigen. Rowohlt Verlag, 5. Auflage, Reinbek 2005, S. 25