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Jorah Mormont - oder: Warum Sie Mitarbeitern eine zweite Chance geben sollten

Von Mark Hübner-Weinhold & Manfred Klapproth

 

Ser Jorah Mormont ist ein gefallener Ritter von Westeros. Einst von König Robert ausgezeichnet für seine Tapferkeit, später geächtet und geflohen, weil er aus Geldnot illegalen Sklavenhandel betrieben hat. So verdient er nun seinen Lebensunterhalt als Mietschwert auf dem Kontinent Essos und tritt in die Dienste der ebenfalls im Exil lebenden Targaryen-Geschwister Viserys und Daenerys. Er wird zum Mentor und Vertrauten der jungen Daenerys - und verliebt sich unsterblich in sie.

 

Jorah wagt einen Drahtseilakt - und scheitert

Es ist nicht nur das emotionale Dilemma, das Jorah zum tragischen Helden macht, es ist auch und vor allem der Loyalitätskonflikt, in den er sich selbst hineinmanövriert. Dass er sich ursprünglich den Targaryens anschließt, ist darin begründet, dass er die beiden vermeintlich letzten Erben des einstigen Königshauses im Auftrag von Varys für die Krone von Westeros ausspioniert. Im Gegenzug erwartet ihn eine Begnadigung durch König Robert. Diesen Deal hat Jorah abgeschlossen, bevor er Daenerys kennen und lieben gelernt hat. Daher belügt er sie von Anfang an – und verstößt somit nicht nur erneut gegen die traditionellen Werte seines Hauses, sondern handelt zunehmend auch gegen seine eigenen Gefühle. Eine Begnadigung eröffnet ihm die Möglichkeit, in die Heimat zurückzukehren, doch der Preis ist Verrat an der Frau, die er liebt und verehrt. Hin- und hergerissen zwischen Heimweh, Pflichtbewusstsein und Liebe wagt Jorah einen Drahtseilakt, der schließlich scheitert: Er gibt Informationen an Varys weiter, der ihm schließlich die Begnadigung bestätigt. Um Widergutmachung bemüht, bleibt Jorah  bei seiner Khaleesi und beschützt sie vor dem Weinhändler, der im Auftrag König Roberts versucht, die schwangere Frau zu vergiften (1.07).


Danach scheint der Verrat vergessen. Nur eine Andeutung von Misstrauen äußert Daenerys, nachdem ihre Drachen in Qarth gestohlen wurden: „Euch soll ich vertrauen, Ser Jorah? Nur Euch? Ich setze nicht länger auf Vertrauen. Ich will keins, und ich habe keinen Platz dafür.“ Es ist ein emotionaler Ausbruch, weil ihre „Kinder“ entführt wurden – und doch eine Aussage, die eine Vorahnung von Jorahs Verrat einerseits und das spätere Misstrauen der Westerosi in Staffel 8 impliziert. Jorah antwortet mit einem denkwürdigen Satz: „Niemand kann auf dieser Welt ohne Hilfe überleben. Niemand. Lasst mich Euch helfen!“ (2.07). Jahre später fällt Ser Barristan ein noch von König Robert Baratheon ausgestelltes Begnadigungsschreiben in die Hände, das Jorah als Spion enttarnt. Daenerys verbannt Jorah aus Meereen: „Ihr habt Verrat begangen, von Anfang an. […] Versucht nie wieder, mich anzurühren oder meinen Namen auszusprechen. Packt Eure Sachen und verlasst diese Stadt.“ (4.08).

 

Verzweifelt versucht Jorah anschließend, Daenerys‘ Vertrauen wiederzugewinnen, indem er Tyrion aus Volantis entführt (5.03) und ihr als Geschenk bringen will. Beide werden jedoch von Sklavenhändlern gefangengenommen. In einer Vorführung der Sklaven in der Arena erscheint Daenerys und lässt beide verhaften. Schließlich verbannt sie Jorah abermals, um ihr Wort als Königin zu halten (5.07). Jorah kämpft nun als Gladiator beim Turnier der Königin. Als dort die Söhne der Harpye angreifen, hilft Jorah, Daenerys, Tyrion und Missandei zu verteidigen (5.09). Daenerys flieht auf Drogon aus der Arena und wird von Dothraki gefangengenommen. Gemeinsam mit Daario Naharis sucht Jorah nach ihr und spürt sie in Vaes Dothrak auf.


Nachdem sie mit beider Hilfe die Khals der Dothraki verbrannt hat, spricht sie mit Jorah: „Ich habe Euch verbannt, zwei Mal. Ihr kamt zurück, zwei Mal. Und Ihr habt mir das Leben gerettet. Ich kann Euch also nicht hierbehalten, und ich kann Euch auch nicht fortschicken.“ Jorah weicht zurück: „Ihr müsst mich fortschicken“, offenbart er seine fortschreitende Grauschuppenkrankheit. „Es tut mir so leid“, sagt Daenerys mit Tränen in den Augen. „Das muss es nicht. Alles, was ich je wollte, war, Euch zu dienen. Tyrion Lennister hatte Recht: Ich liebe Euch. Ich werde Euch immer lieben“, bekennt Jorah und wendet sich ab: „Lebt wohl, Khaleesi.“ In diesem Moment vergibt Daenerys ihm: „Wer hat Euch erlaubt, Euch zu entfernen, Jorah, der Andale? Eure Königin hat Euch nicht entlassen. Ihr habt Euch mir zu Treue verpflichtet. Ihr habt geschworen, meine Befehle für den Rest Eures Lebens zu befolgen. Ich befehle Euch, nach einer Heilung zu suchen, wo immer sie auf dieser Welt auch zu finden ist. Ich befehle Euch, wieder gesund zu werden und dann zu mir zurückzukehren. Wenn ich die Sieben Königslande erobere, brauche ich Euch an meiner Seite.“ (6.05).
Jetzt erfährt Jorah die erste Erlösung in der Serie. Seine geliebte Chefin hat ihm seinen Verrat verziehen und setzt auf seine unverbrüchliche Treue. Wiederum ist es tragisch, dass er in dieser Situation von einer schweren Krankheit gezeichnet ist. Doch ist es gerade diese persönliche Tragik, die Daenerys final bewegt, ihrem gefallenen Helden zu vergeben.

 

Der Archetyp des entehrten Helden

Im Sinne der mythologischen Archetypen, die der Literaturwissenschaftler und Mythenforscher Joseph Campbell beschrieben hat, ist Jorah der entehrte Ritter, weil er nach Erlösung strebt – ähnlich wie Lancelot in der Artus-Saga oder Ivanhoe im Roman von Walter Scott. Richard E. Preston hat das in einem Blogbeitrag auf der Webseite winteriscoming.net detailliert analysiert. Harte Entscheidungen zu treffen und dafür manchmal auch einen persönlichen Preis zu zahlen, zählt zu den wesentlichen Aufgaben von Führung. Jorah manövriert sich durch eine Kette von Fehlentscheidungen immer tiefer in Verstrickungen, die mit dem Wertekodex der Mormonts brechen, den sein Vater Jeor verkörpert. Der alte Bär und Ned Stark sind sich in dieser Hinsicht sehr ähnlich.


Durch den Deal mit Varys will er königliche Begnadigung erlangen und so seine Ehre wiederherstellen. Doch bedeutet das nun, das Vertrauen von Daenerys auszunutzen und erneut Werte zu verraten. Jorah verpasst den Moment, Daenerys schon früh seine Spionage und Beweggründe zu beichten. Gerade in der Phase unmittelbar nach dem Tod von Khal Drogo war sie so abhängig von seiner Stärke, dass sie ihm vermutlich vergeben hätte. Doch vielleicht konnten auch Sie als Zuschauer seine lausige Entscheidungsfindung nachvollziehen. Haben wir uns nicht alle schon einmal entschieden, jemandem, den wir lieben, Informationen vorzuenthalten, damit wir Unannehmlichkeiten vermeiden, die eine Offenbarung verursachen könnte? Wir hoffen dann, dass die Wahrheit nie ans Licht kommt – und wenn das doch passiert, ist der Schaden noch viel größer, weil wir es bewusst verheimlicht haben.

 

Seine Fehlentscheidungen machen Jorah zur beliebten Identifikationsfigur
Diese Fehlentscheidung und seine inneren Konflikte machen Jorah zutiefst menschlich und damit zu einer wichtigen Identifikationsfigur für uns als Publikum. Wir können leicht mit ihm mitfühlen. Das erklärt seine große Beliebtheit bei den Fans. Was Jorah nun so einzigartig macht, ist die selbstvergessene Leidenschaft, mit der er nach seiner Verbannung dafür kämpft, doch das Vertrauen von Daenerys wieder zu erlangen. Leicht hätte er aus dem Staub von Essos machen können und als Begnadigter in die Heimat zurückkehren. Doch versagt er sich die einfache Lösung. Er will beweisen, dass seine Loyalität zu ihr echt war und der Deal mit Varys eine Sünde der Vergangenheit. Er will um jeden Preis zeigen, dass er ihres Vertrauens würdig ist. Und so kehrt er zwei Mal nach Meereen zurück und nach seiner wundersamen Heilung durch Sam ein drittes Mal nach Drachenstein: „Ich kehre in Euren Dienst zurück, meine Königin, wenn Ihr einwilligt.“ Daenerys lächelt ihn glücklich an: „Es wäre mir eine Ehre“, und umarmt ihn.


Was können wir für Führung daraus lernen? Einen Mitarbeiter, der Sie getäuscht, der Ihr Vertrauen gebrochen hat, sollten Sie nicht gleich ins Abseits stellen oder gar entlassen. „Ein Mann verdient eine zweite Chance, aber behalte ihn im Auge“, hat der legendäre John Wayne einmal gesagt. Darum geht es. Versuchen Sie, die Beweggründe des Mitarbeiters zu verstehen, lassen Sie ihn erzählen, wieso er falsch gehandelt hat, fragen Sie genau nach, aber verurteilen Sie ihn nicht sofort. Wir sind oft vorschnell im Urteil, ohne die Hintergründe zu kennen. In vielen Fällen ist nicht entscheidend, wie loyal jemand in der Vergangenheit war, sondern welche Perspektive die Zusammenarbeit in der Zukunft hat. Wenn Sie diese Frage positiv beantworten können, vergeben Sie dem Mitarbeiter, reden Sie nicht mehr darüber, vergessen Sie aber nicht, was passiert ist. Oftmals sind solche Kollegen dann – wie Jorah – ausgesprochen bemüht, zuverlässige Arbeit zu leisten und sich so Ihr Vertrauen zurückzuerobern.

 

Jorahs Fehlverhalten wandelt sich in unerschütterliche Loyalität
Jorah gibt ein leuchtendes Beispiel dafür, wie sich Fehlverhalten zu unerschütterlicher Loyalität wandeln kann. Er bricht sogar eine Lanze für Tyrion, der wegen mehrerer Fehlentscheidungen bei Daenerys in Ungnade gefallen ist: „Als ich hörte, dass Ihr Tyrion zu Eurer Hand ernannt hattet, da brach es mir das Herz.“ Daenerys antwortet: „Als ich ihn zu meiner Hand ernannte, da wusste ich nicht, ob ich Euch je wiedersehe.“ Darauf gibt Jorah zu: „Es war die richtige Entscheidung.“ Daenerys ist überrascht: „Ich hatte nie den Eindruck, dass Ihr ihm sehr zugeneigt wärt.“ Der Andale gibt zu: „War ich auch nicht. Sein Mund stand zwischen Volantis und Meereen kaum still. Ich musste mich beherrschen, ihn nicht ins Meer zu werfen. Aber der Verstand hinter all diesen Worten…“ Daenerys aufgebracht: „Er hat Fehler begangen, schwerwiegende Fehler.“ „So, wie wir alle. Doch er gibt seine zu und versucht, daraus zu lernen“, gibt Jorah zu bedenken. Daenerys hakt nach: „Ihr wollt, dass ich dem Mann vergebe, der Euch um Eure Stellung gebracht hat?“ Jorah entschlossen: „Das tue ich.“ (8.02). Die zweite Chance, die er selbst bekommen hat, räumt Jorah auch anderen ein. Zumal er anerkennt, dass Tyrion, im Gegensatz zu ihm früher, seine Fehler stets gleich einräumt.


Am Ende findet Jorahs Loyalität, ja, eigentlich der Zweck seines Daseins ihre zugleich traurige und würdige Bestimmung. Heldenhaft verteidigt er seine Khaleesi gegen die Untoten, die Winterfell überrennen – bis zum Tod in ihren Armen (8.03). Es ist der größte Vertrauensbeweis, den er geben kann. Daenerys bis zum Tod zu dienen, war sein gewolltes Schicksal. Und ähnlich wie Theon Graufreud findet Jorah, der Andale, in Winterfell seine endgültige Erlösung, indem er sich aus Liebe und Pflicht opfert.