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160 Jahre danach - Gettysburg Leadership Lessons, Teil 2: John Buford

Der General, der das höhere Gelände verteidigte

Von Mark Hübner-Weinhold

Es waren die Schuhe. Sie lösten die größte Schlacht im amerikanischen Bürgerkrieg aus. Gettysburg wurde eher zufällig zum Schauplatz, weil einige konföderierte Infanteristen in der kleinen Stadt in Pennsylvania nach Schuhen suchten. Niemand hatte an diesem Tag und an diesem Ort eine Schlacht geplant. General Lee, Befehlshaber der Rebellenarmee, hatte sogar ausdrücklich befohlen, ein größeres Gefecht zu vermeiden, bis er seine über viele Meilen verteilten Divisionen zusammenziehen konnte. Beide Armeen – die konföderierten Invasoren von Lee und die Unionstruppen von Generalmajor Meade. hatten sich gegenseitig gesucht. Der bleihaltige Kontakt passierte in den frühen Morgenstunden des 1. Juli 1863, als einige Südstaatenregimenter auf der Suche nach Schuhen (Tausende von Lees Soldaten waren barfuß) auf Unionskavallerie unter dem Kommando von John Buford stießen. Die Nachricht erreichte beide Armeen, und innerhalb weniger Stunden strömten Truppen aus allen Richtungen herbei.

 

Einen Tag zuvor, am späten Morgen des 30. Juni, ritt Brigadegeneral John Buford an der Spitze von 2.950 müden Kämpfern nach Gettysburg. Buford war der ranghöchste Befehlshaber der Union in der kleinen Kreuzungsstadt in Pennsylvania. Er bildete mit zwei Brigaden die Vorhut der Army of the Potomac auf ihrem Weg nach Norden. Die 100.000 Mann starke Armee der Blauröcke, seit zwei Tagen unter dem Kommando von Generalmajor George Gordon Meade, verfolgte vorsichtig die konföderierten Truppen Robert E. Lees, deren genaue Position nicht bekannt war. Buford hatte den Befehl erhalten, den Feind aufzuspüren und den Vormarsch der Unionsarmee abzudecken.

John Buford war wie Präsident Lincoln in Kentucky geboren und in Illinois aufgewachsen. Er war ein hartgesottener Pferdesoldat, der vor dem Bürgerkrieg im Westen gegen die Indianer gekämpft hatte. Obwohl nur 37 Jahre alt, ließen die Spuren eines harten Lebens ihn deutlich älter wirken. Er trieb sich selbst und seine Männer unerbittlich an. Ein Reporter, der ihn getroffen hatte, beschrieb ihn als "gutmütig, aber nicht aufdringlich". Buford hatte "einen bräunlichen Schnurrbart und ein kleines, dreieckiges graues Auge, dessen Ausdruck entschlossen, um nicht zu sagen unheimlich ist“. Er war ein unabhängiger Mensch und ein umsetzungsstarker Entscheider. Vor allem aber war Buford ein begabter Berufssoldat. Er liebte den Kampf und besaß ein hervorragendes taktisches Gespür für das Gelände.

 

Gettysburg - ein strategisch wichtiger Knotenpunkt mit idealem Gelände zur Verteidigung gegen Lees Armee

Als Buford an diesem 30. Juni 1863 durch Gettysburg ritt und von den Einwohnern begeistert begrüßt wurde, bemerkte er zwei entscheidende Merkmale, die diesen Ort so bedeutsam machten. Erstens verliefen zehn Straßen von der Stadt aus, wie die Beine einer Spinne, in alle möglichen Richtungen. Der Historiker Stephen Sears stellte fest: "Für jeden, der durch das südliche Zentral-Pennsylvania reiste, war es schwierig, Gettysburg zu umgehen". Zweitens war sich Buford der militärischen Maxime bewusst, dass hoch gelegenes Gelände dem Verteidiger immer einen Vorteil verschafft. In jeder Schlacht ist es von großem Vorteil, das hohe Gelände zu halten, unter anderem wegen der Sichtbarkeit, der Schwerkraft und der Fähigkeit, mit erhöhter Feuerkraft - vor allem mit Artillerie - weit entfernte feindliche Aktionen und Stellungen zu zerstören, aus denen der Feind nicht zurückschießen kann. Mit routiniertem Blick erspähte Buford mehrere erhöhte Bergrücken und Hügel, von denen er wusste, dass sie in den bevorstehenden Kämpfen entscheidende geografische Merkmale darstellen würden (siehe Karten unten).

 

Westlich der Stadt gab es Wiesen und Weiden, offenes Land, das sich ideal für die Landwirtschaft eignete, und eine Reihe von langen, niedrigen Hochebenen. Diese abgerundeten Erhebungen wiesen drei in Nord-Süd-Richtung verlaufende Bergrücken auf: Herr Ridge, McPherson's Ridge und Seminary Ridge. Südlich der Stadt befanden sich vier markante Erhebungen: Der nächstgelegene war Cemetery Hill, einhundert Fuß hoch und eine halbe Meile von Gettysburg entfernt. Südöstlich an den Cemetery Hill angrenzend und höher gelegen war der stark bewaldete Culp's Hill. Vom Cemetery Hill aus fiel das Gelände allmählich nach Süden ab und bildete den anderthalb Meilen langen Cemetery Ridge, der an einigen Stellen überhaupt keinen Grat mehr aufwies und ins Flachland überging. Der Cemetery Ridge gipfelte in einem felsigen und leicht bewaldeten Hügel namens Little Round Top. Weiter südlich befand sich der höhere, dicht bewaldete Round Top Hill. Von oben betrachtet erinnert diese Hügelkette an einen gigantischen Angelhaken – mit Cemetery und Culp’s Hill als Widerhaken, Cemetery Ridge als langer Schaft und die beiden Round Tops als Öse.

 

Buford erhielt von den aufgeregten Einwohnern der kleinen Stadt beunruhigende Nachrichten: Nur vier Tage zuvor hatte größere Einheiten der Südstaatler Gettysburg in Richtung Osten passiert. Umgehend beorderte er Vorposten einige Meilen vor die Stadt und sandte mehrere Spähtrupps in alle Richtungen aus. Im Laufe des Tages bestätigten sich seine Vermutungen: Der Feind wurde nur wenige Meilen vor Gettysburg im Nordwesten gesichtet, und aus dem Norden marschierten konföderierte Truppen direkt auf die Stadt zu.

 

Rückzug ist keine Option - Buford entscheidet, die Hügel gegen eine Übermacht zu verteidigen

Buford brauchte einen Plan, und zwar schnell. Er hatte nur den vagen Auftrag vom Oberkommando, Position und Aufstellung der Konföderierten auszukundschaften. Er wusste, dass er es in Gettysburg wahrscheinlich mit einer weit überlegenen Streitmacht zu tun hatte. Und ihm war klar, dass selbst das I. Unionskorps von General John Reynold, das am nächsten an Gettysburg herangerückt war, vermutlich noch etliche Stunden benötigen würde, um es bis zu der kleinen Stadt zu schaffen.

 

Viele Kommandeure in ähnlicher Situation hätten jetzt vermutlich einen taktischen Rückzug angetreten. Nicht aber John Buford. Denn ihm war glasklar, dass die beiden Armeen auf Gettysburg zumarschierten. Und da dies der Ort einer großen Schlacht zwischen Meade und Lee werden würde, so seine Überlegung, sei es für den Ausgang der Schlacht entscheidend, die Hügel und Bergrücken für die Unionsarmee zu sichern. Deshalb war Buford fest entschlossen, die Stadt und vor allem das höhere Gelände um jeden Preis zu verteidigen. Sein Auftrag und die Botschaft, die er seinen Männern übermittelte, waren einfach: Wir werden hier kämpfen, bis Hilfe eintrifft. Buford schrieb nach der Schlacht: "Bei Tagesanbruch des 1. Juli hatte ich verlässliche Informationen über die Position und die Bewegungen des Feindes erhalten, und ich hatte Vorkehrungen getroffen, um ihn zu aufzuhalten, bis General Reynold eintreffen konnte. "

 

Rasch befahl er seinen beiden Brigadekommandeuren William Gamble und Thomas Devin, die verfügbaren Soldaten auf dem McPherson’s Ridge, etwa eine Meile westlich von Gettysburg in Stellung zu bringen. Diese vorgezogene Position würde es ermöglichen, sich bei zu großer Übermacht der Grauröcke auf den näher an der Stadt gelegenen Seminary Ridge zurückzuziehen. Im Gegensatz zu den mit Musketen bewaffneten Infanteristen waren Bufords Kavalleristen mit siebenschüssigen Sharps-Karabinern ausgestattet – ein Vorteil, der die zahlenmäßige Übermacht der konföderierten Brigaden zumindest so lange wettmachte, bis massierte konföderierte Artillerie vor Ort war. Außerdem befahl Buford, zur Feindaufklärung im Norden der Stadt Kavalleriepatrouillen einzusetzen, um von weiteren Brigaden von Lees Armee nicht überrascht zu werden.

Dann schrieb Buford am 30. Juni mit einem Bleistift eine kurze Notiz an seinen Vorgesetzten, Generalmajor John Fulton Reynolds, den Kommandeur des I. Korps: „Ich habe eine große Streitmacht der Konföderierten westlich von Gettysburg ausgemacht. Ich glaube, dass der Feind in großer Zahl hier ist. Schicken Sie gleich morgen früh die Infanterie her."

 

Von Buford lernen: Sieben Lektionen für wirksame Führung unter Druck

Mit dieser bemerkenswerten Botschaft an seinen Chef beginnen wir die sieben Lektionen, die moderne Führungskräfte von John Buford lernen können.

1. Den Chef führen. Bufords kurze Notiz an Reynolds ist ein klassisches Beispiel für „leading the boss“. Nach der knappen Situationsbeschreibung, die deutlich macht, dass Buford seinen Auftrag erfüllt hat, ist letzte Satz der Botschaft ist eine eindeutige Ansage, was er jetzt von seinem Chef erwartet und was dieser zu tun hat. Tatsache ist: Reynold kennt die Qualitäten seines Kavalleriekommandeurs und vertraut auf dessen Fachkompetenz. Ein solches Vorgehen erfordert Mut. Mut eines Untergebenen, seine Ansicht klar auszusprechen oder zu schreiben, sowie Mut der Führungskraft, die bereit ist, sich auf die Expertise einer Fachkraft zu verlassen und sich damit auch führen zu lassen.

 

2. Vertrauen wirkt. John Reynolds sichert sich nicht ab, er beordert Buford nicht zu sich, um die Angelegenheit en detail zu besprechen. Er macht einfach das, was sein Mitarbeiter Buford vorschlägt. Dieses Vorgehen bedeutet final einen Geschwindigkeitsvorteil, der den Verlauf der Schlacht entscheidend beeinflussen wird. Denn Reynolds I. Korps ist am 1. Juli in Gettysburg und wird Bufords erschöpfte Soldaten ersetzen und den Vorstoß der Konföderierten auf die Hügel verhindern. Ein solches Vertrauen zwischen Chef und Mitarbeitern und zwischen Kolleginnen und Kollegen ist buchstäblich ein geldwerter Vorteil. Der Unternehmensberater Stephen M. R. Covey, formuliert es so: „Vertrauen wirkt immer – rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr. Es ist die Grundlage für jede Kommunikation, alle Beziehungen, alle Projekte und unsere Erfolge. Vertrauen verändert die Qualität jedes einzelnen Augenblicks. Und es bestimmt unsere Zukunft – sowohl im Beruf wie auch im Privatleben. […] Deshalb ist Vertrauen die Schlüsselkompetenz für alle Führungskräfte in unserer neuen globalen Wirtschaft. Denn nichts wirkt schneller und effektiver als Vertrauen – in allen Situationen.“

 

3. Verantwortung übernehmen. Wie bereits gesagt, belässt es Buford nicht dabei, einfach seinen etwas vagen Auftrag zu erfüllen und sich angesichts der feindlichen Übermacht zurückzuziehen. Sondern er begreift, wie wichtig es für den Ausgang einer Schlacht an diesem Ort und damit für die Zukunft der Union sein wird, den Vormarsch von Lees Armee zu bremsen und das höhere Gelände für Meades Truppen abzusichern. Als Führungskraft handelt Buford proaktiv und übernimmt ohne Rückdelegation an seine Vorgesetzten die Initiative und Verantwortung für das ganze Unternehmen. Das ist echte Führung.

 

4. Entscheiden. Buford sammelt die vorhandenen Informationen der Einwohner und seiner Kundschafter, wägt ab und trifft dann rasch eine Entscheidung, den Feind westlich von Gettysburg aufzuhalten. Kein Zaudern, keine Ausflüchte, Buford macht, wofür Führungskräfte bezahlt werden: Er entscheidet und löst Probleme, um das Überleben des Unternehmens zu ermöglichen.

 

5. Auf ein Ziel fokussieren. Seine Männer erwarten von ihm in dieser kritischen Situation sichere Führung. Buford gibt ihnen eine eindeutige Orientierung und fokussiert sie auf ein gemeinsames Ziel: Wir werden diese Stadt um jeden Preis verteidigen und den Feind aufhalten, bis Verstärkung kommt.

 

 6. Flexibel auf die Situation reagieren. Buford kennt weder Gettysburg noch das umliegende Gelände genau. Und er weiß nicht, wo genau wie viele konföderierte Truppen stehen und ihm entgegentreten werden. Aber er erfasst blitzschnell die Lage und die Möglichkeiten des Geländes – und passt sich mit seiner kleinen Einheit an diese Umstände an. So gelingt es ihm, mit klug angepassten Maßnahmen flexibel das Maximum aus seinen Ressourcen herauszuholen.

 

7. Klar kommunizieren. Knackig und präzise ist Bufords Nachricht an seinen Chef. Ebenso klar sind seine Befehle an seine beiden Stellvertreter Gamble und Devin. Hier weiß jemand, was er zu tun und zu sagen hat – und er macht nicht viele Worte, aber diese wirken.

 

Bufords Maßnahmen, im Kontext dieser gewaltigen Schlacht mit mehr als 43.000 Opfern eigentlich nur eine Fußnote, zeigen, wie wichtig manchmal kleine Entscheidungen sein können und den Lauf der Geschichte beeinflussen. Seine zwei Brigaden hielten McPhersons Ridge bis zum Eintreffen der Unionsinfanterie unter Generalmajor John Reynolds (I. Korps) und Oliver Otis Howard (XI. Korps). Obwohl die Konföderierten im Laufe des 1. Juli die Blauröcke zurückdrängen und die Stadt Gettysburg erobern konnten, setzten sich die Unionstruppen auf den Hügeln fest. John Bufords Einschätzung des Geländes als günstiges Schlachtfeld erwies sich als goldrichtig und ermöglichte es Generalmajor Winfield Scott Hancock mit den nachfolgenden Unionstruppen den Cemetery Ridge zu halten. Damit hatte Generalmajor George Gordon Meade als der Oberbefehlshaber der Potomac-Armee den Vorteil der höhergelegenen Stellung und der inneren Linie. Bufords Führungsstärke sollte für Robert E. Lee der Anfang vom Ende sein.

 

Foto: Brady National Photographic Art Gallery (Washington, D.C.), photographer, Public domain, via Wikimedia Commons 

 

Die Topografie von Gettysburg zeigt zehn Straßen, die in die Stadt münden, sowie die markanten Hügelketten, deren strategische Bedeutung John Buford sofort erkannte. 

 

Dementsprechend befahl der erfahrene Brigadegeneral seinen beiden Stellvertretern William Gamble und Thomas Devin, die Truppen westlich der Stadt auf der Anhöhe des McPherson's Ridge zu positionieren, um den Angriff der konföderierten Division unter dem Kommando von Harry Heth so lange abzuwehren, bis die Infanterie des I. Korps zur Verstärkung eintreffen würde. 

 

Diese Gesamtübersicht zeigt die Marschbewegungen der verschiedenen Korps von Lees (rot) und Meades (blau) Armeen. Gestrichelt sind die Routen der Kavallerie, die als Vorhut und Aufklärungseinheit agieren. Der konföderierte Kavalleriekommandeur J.E.B. Stuart ist allerdings meilenweit von seinem Befehlshaber General Lee entfernt und steht tagelang nicht im Kontakt mit dem Hauptquartier. Lee tapert buchstäblich blind durchs Feindesland, denn die Kavalleristen sind im Bürgerkrieg die Augen einer Armee.