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Zum Kinostart des Films "Napoleon" von Ridley Scott

Was Führungskräfte von Napoleon lernen können

Krieger, Kaiser, General, Genie, Rebell, Tyrann – mit diesen Worten wird „Napoleon“ im Trailer für den gleichnamigen Monumentalfilm von Ridley Scott charakterisiert, der am heutigen 23. November in den deutschen Kinos startet. Der britische Starregisseur erzählt darin seine Version vom Aufstieg und Fall des berühmtesten Franzosen – in 165 Minuten fürs Kino und demnächst als Director’s Cut mit rund vier Stunden auf Apple TV+ und Bluray.

Der Film kommt passend zum Start meines neuen Seminars, Workshops und Vortrags „Napoleon, CEO“, in dem ich die Erfolgsfaktoren von Napoleons beispielloser Karriere und die Gründe seines Scheiterns systematisch analysiere und für moderne Führungskräfte verständlich und anwendbar mache.

 

Unabhängig davon, wie man sein Wirken beurteilt: Napoleon Bonaparte ist eine der faszinierendsten Führungskräfte der Weltgeschichte. Seine politischen und militärischen Entscheidungen prägten den Kontinent Europa und beförderten die Revolutionen in Lateinamerika, sein Code Civil von 1804 ist bis heute die Grundlage des französischen Zivilrechts. Wie sein britischer Gegenspieler Arthur Wellesley, der Herzog von Wellington, wurde Napoleon 1769 im niederen Adel geboren und wuchs in einer abgelegenen Provinz auf. Der Korse diente sich durch rastlose Energie und Disziplin bis an die Spitze der Armee hoch. Doch während Wellington stets ein loyaler Diener der konstitutionellen britischen Monarchie blieb, putschte sich Napoleon an die Spitze Frankreichs, ließ sich zum Kaiser wählen, krönte sich selbst und entwickelte sich zunehmend zum Tyrannen - ein abschreckendes Beispiel für den Missbrauch absoluter Macht.

Wer die Karriere Napoleons, seine Kompetenzen und Entscheidungen analysiert, und auch die Strategien seiner größten Rivalen auf dem Schlachtfeld, Wellington und der russische Feldmarschall Kutusow, durchleuchtet, stößt auf zahlreiche Lektionen, wie Führung gelingt oder misslingt und welche Faktoren und Persönlichkeitsmerkmale Erfolg begünstigen und Scheitern befördern. Und viele dieser Erkenntnisse lassen sich auf die heutige Businesswelt übertragen. Die Entwicklung einer Vision, die Vorgabe von Zielen, klare Wertvorstellungen, Selbstdisziplin, Zusammenarbeit, Projektmanagement und Logistikplanung, Organisationsentwicklung, Aufbau von Tochtergesellschaften im Ausland, internationale Kooperationen, Führen unter extremem Veränderungsdruck, konsequentes Entscheiden, Kommunikation, Konfliktfähigkeit, Flexibilität und Resilienz - all diese Anforderungen an moderne Führungskräfte lassen sich anhand historisch belegter Fallbeispielen herausarbeiten.

Napoleon führte nicht nur mehr als fünfzig Feldzüge als Feldherr erfolgreich an, sondern leitete auch Hunderte von Entwicklungs- und Wiederaufbaumaßnahmen in ganz Europa, darunter Finanz- und Justizreformen, den Bau von Straßen, Brücken, Museen, Häfen und vieles mehr - und das alles, während er ständig Krieg führte. Napoleon war erfolgreich, weil er solide Prinzipien und Techniken nutzte, die heute noch genauso anwendbar sind wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Napoleon praktizierte effizientes Projektmanagement, bevor es den Begriff "Projektmanagement" überhaupt gab, nur dass er damit ein ganzes Imperium verwaltete, das von Madrid bis Hamburg, von Neapel über Wien bis Warschau reichte. Diese enorme Managementleistung bewältigte er ohne Telefon, Computer, E-Mail oder Videokonferenzen. Als CEO hielt Napoleon seinen multinationalen Großkonzern mit berittenen Kurieren und Postkutschen zusammen, die die Kommunikation mit seinen Geschäftsführern ermöglichten.

Napoleons Herrschaft war kürzer war als die Amtszeit von Angela Merkel. Aber was der Korse in dieser knappen Zeitspanne in Europa erreicht und verändert, aber auch, was er an Tod und Leid verursacht hat, bietet eine Fülle von positiven und negativen Lektionen in Führung und Projektmanagement. Die Art und Weise, wie Napoleon vor jedem Feldzug umfangreiche Recherchen, sozusagen Marktanalysen, erstellte, wie er seine Armee organisierte, um maximale Effektivität zu erreichen, sind enorm lehrreich. Wir können anhand einprägsamer, gut dokumentierter Fallbeispiele nachvollziehen, wie er das revolutionäre Chaos in Ordnung verwandelte, den Überblick über all die Aktivitäten in seinem Riesenreich behielt und wie er mit seinen Truppen, Verbündeten und der Öffentlichkeit kommunizierte. Wir können erkennen, wie er seine Soldaten zu Höchstleistungen motivierte und in schwierigen Zeiten eine starke Loyalität zu seinen Mitarbeitern aufbaute. Und vielleicht noch wichtiger sind die Erkenntnisse, wenn wir analysieren, wie Napoleon auf dem Höhepunkt seiner Macht seine Führungsstärken verlor und so unweigerlich seinen Sturz einleitete.

Ihnen ist das alles noch zu abstrakt? Lesen Sie hier zwei konkrete Fallbeispiele für Napoleons Denken und die Anwendung auf die moderne Welt:

 

1)     Operative Verantwortung:

Napoleon war davon überzeugt, dass ein Befehlshaber im Feld die volle Verantwortung für alle Aktionen und deren mögliche Ergebnisse zu übernehmen habe. Es sei keine Entschuldigung, blind dem Befehl von jemandem aus einer höheren Hierarchiestufe zu gehorchen, der nicht vor Ort sei und ergo die tatsächliche Situation gar nicht beurteilen könne. In seiner Analyse des Italien-Feldzugs von 1796 und 1797 notierte Napoleon: „Jeder Befehlshaber, der für die Ausführung eines Plans verantwortlich ist, den er für schlecht oder katastrophal hält, macht sich strafbar: Er muss auf Mängel hinweisen, auf eine Änderung des Plans drängen und zumindest zurücktreten, anstatt zum Instrument der Vernichtung seiner eigenen Männer zu werden.“

Übertragen auf die moderne Wirtschaft bedeutet das: Erkennt zum Beispiel eine Vertriebsleiterin, dass die starre Vorgabe der Geschäftsführung, maximal 15 Prozent Rabatt einzuräumen, in einer Verkaufsverhandlungen dazu führen würde, ein großes Geschäft mit einem wichtigen Kunden zu verlieren, sollte sie sich flexibel gegen die Vorgabe entscheiden, um den Deal zu machen – vorausgesetzt, dieser ist in der Gesamtbilanz positiv fürs Unternehmen.

Oder nehmen wir den Fall des Piloten Chesley „Sully“ Sullenberger. Sie erinnern sich sicher: Das war der Mann, der am 15.  Januar 2009 einen Airbus A320 auf dem eisigen Hudson River direkt vor der New Yorker Skyline notlandete, nachdem ein Schwarm kanadischer Wildgänse in beide Triebwerke geflogen war. Hätte Sully sich an die Vorgaben der Fluglotsen gehalten, auf dem nahegelegenen Flughafen Teterboro in New Jersey zu landen, wäre unweigerlich eine Katastrophe eingetreten. Sully ignorierte die Anweisung aus dem Tower und entschied im Cockpit, was die einzig sinnvolle und sicherste Alternative war, nämlich die Notlandung im Fluss.

Napoleon hatte verstanden, dass operative Verantwortung untrennbar mit situativer Flexibilität und Entscheidungsautonomie der Führungskraft vor Ort verbunden sein muss. Er selbst sollte übrigens bei Waterloo an einem seiner Kommandeure scheitern, der genau diesen Zusammenhang nicht verstanden hatte: Marschall Emmanuel de Grouchy hält sich bei der Verfolgung von Blüchers Armee stur an den Befehl Napoleons, die Preußen zu verfolgen. Dabei ist aus Richtung Waterloo längst Kanonendonner zu hören, und Rauch steigt auf. Grouchys Stellvertreter General Gérard fordert ihn auf, sofort in Richtung des Gefechtslärms zu eilen – aber Grouchy folgt dem Befehl des Kaisers, die Preußen zu verfolgen. Blüchers Armee ist ihm aber längst enteilt und nach Waterloo abgeschwenkt. So fehlen Napoleon gut 33.000 Mann im Kampf gegen Wellingtons alliierte Armee, und das Eintreffen von Blüchers Truppen besiegelt das Schicksal der Franzosen.

 

2)     Umsetzungsgeschwindigkeit:

Was Napoleons Armee lange Jahre unbesiegbar machte, war vor allem ihre Geschwindigkeit. In Eilmärschen trieb der Befehlshaber seine Mannen an, die so beispielsweise die behäbigen Österreicher in den Italien-Feldzügen von 1796 und 1797 sowie 1805 bei Ulm überraschten. Knapp 25 Kilometer pro Tag marschierte die Grande Armée 1805 von Boulogne am Ärmelkanal bis zum Rhein; weniger als sechs Wochen dauerte diese Operation. „Die Stärke eines Heeres wird, wie die Kraft in der Mechanik, durch die Multiplikation der Masse mit der Schnelligkeit geschätzt: ein schneller Marsch erhöht die Moral eines Heeres und steigert alle Chancen auf einen Sieg“, schrieb Napoleon. Es war das Momentum, mit dem er die konventionell und damit meist langsam agierenden Kommandeure der Österreicher, Russen und Preußen überraschte.

Die endlose Weite Russlands jedoch ließ 1812 diese Stärke gar nicht zur Entfaltung kommen, ebenso wie der heftige Dauerregen in der Nacht vor der Schlacht vor Waterloo mehr als zwei Stunden Verzögerung beim Aufmarsch der Grande Armée zur Folge hatte – mit dem Ergebnis, dass Blüchers Preußen abends noch rechtzeitig eintreffen konnten. Dabei hatte Napoleon seinen Gegner Wellington mit der Geschwindigkeit seines Anrückens völlig überrascht.

Was Napoleon verinnerlicht hatte, ist in der modernen Business-Welt längst unverzichtbar: Die Geschwindigkeit der Umsetzung ist alles. Bei der französischen Armee verband sich diese Einsicht mit starker Disziplin, guter Ausrüstung, effizienter Logistik, ausgeprägtem postrevolutionärem Nationalstolz („Purpose“) und hoher Loyalität zu ihrem charismatischen Anführer. Geführt wurde dieses Heer nicht mehr von verwöhnten Adligen mit oft schwacher militärischer Kompetenz (wie in den Armeen der europäischen Monarchien üblich), sondern von Berufsoffizieren, die infolge der Revolution meist wegen ihrer fachlichen Kompetenz aufgestiegen waren.

Geschwindigkeit erzeugt Geschwindigkeit – auch diese Einsicht zeichnet Napoleon aus: Wenn das Momentum erst einmal erzeugt ist, haben Barrieren und Störfaktoren weniger Einfluss. Das gilt für physische ebenso wie für soziale Bewegungen. Und wenn es bei der Bewegung an Masse fehlt, wird der Faktor Geschwindigkeit umso wichtiger. Oft stand Napoleon zahlenmäßig überlegenen Armeen gegenüber. Aber mit der hohen Geschwindigkeit gelang es ihm, die Gegner zu überraschen. In einer Art Salami-Taktik griff er dabei nur Teile des feindlichen Heeres an, weil der Gegner zu langsam war und seine gesamte Armee noch nicht zusammengezogen hatte.

Im Zeitalter der Digitalisierung überrollt uns der Faktor Geschwindigkeit. Der Siegeszug des Smartphones begann im Januar 2007, als Steve Jobs das iPhone vorstellte – das ist knapp 17 Jahre her. Der KI-Chatbot ChatGPT wurde im November 2022 vom US-Unternehmen OpenAI veröffentlicht und ist binnen Jahresfrist kaum noch wegzudenken aus dem Business und dem Bildungssektor. Wer in solchen Märkten erfolgreich sein will, muss neben Innovationskraft vor allem auf Geschwindigkeit setzen. Denn eine technologische Idee ist heutzutage schnell kopiert. Mit einem neuen Produkt als erster auf dem Markt zu sein, sichert zumindest vorübergehend eine starke Stellung im Wettbewerb. Insbesondere Start-ups, die keine Masse, also wenig Kapital und Arbeitskräfte haben, sind auf Geschwindigkeit und konsequente Umsetzung ihrer Geschäftsidee angewiesen. Napoleons Führungsprinzipien und Projektmanagementstrategien liefern hier hilfreiche Beispiele.

Foto: Apple TV+

 Und hier noch ein Trailer zu "Napoleon" von Ridley Scott.